UnVergessen &
Briefe gegen die Einsamkeit

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Hintergrund des Projekts

Die Anzahl an mehrsprachigen älteren Menschen in Deutschland wächst. In der Folge wächst auch die Zahl an Pflegebedürftigen mit mehrsprachigem Hintergrund, die u.a. in Pflegeeinrichtungen leben. Mit dem Umzug in ein Pflegeheim geht für die meisten Mehrsprachigen auch ein Sprach“umzug“ einher, da in den meisten Einrichtungen die deutsche Sprache verwendet wird und nur selten Möglichkeiten bestehen, auf die unterschiedlichen Sprachen der BewohnerInnen einzugehen. In Verbindung mit typischen Alterserkrankungen – allen voran Demenz – kommt es bei diesem mehrsprachigen Personenkreis zunehmend zu sprachlichen (und kulturellen) Problemen im Pflegealltag, denen mit diesem Projekt begegnet werden sollen.

Projektziele

  • Sprachliche und kulturelle Begleitung mehrsprachiger stationär Pflegebedürftiger in deutschen Pflegeheimen, um sie in ihrem Pflegealltag zu unterstützen sowie sozial zu begleiten.
  • Ausübung der integrativen Arbeit mehrsprachiger Studierenden, die damit ihre sozialen Fähigkeiten ausbauen und Einblicke in Anwendungsbereiche sprachlicher und kultureller Kompetenzen erhalten.
  • Zusammenführung zweier Populationen mehrsprachiger Personen, die dauerhaft in Deutschland leben und spezifische Bedürfnisse und Kompetenzen mitbringen, die gewinnbringend verknüpft werden sollen.
  • Wissenschaftliche Aufarbeitung der gewonnen Eindrücke und Erfahrungen aus dem Projekt.

Projektverlauf

Das Projekt UnVergessen wurde im Wintersemester 2016/2017 mit finanzieller Unterstützung der Robert Bosch Stiftung zum ersten Mal durchgeführt und ist mittlerweile fest im Curriculum der Ruhr-Universität Bochum verankert. Jeweils für ein Jahr begleitet eine Gruppe von mehrsprachigen Studierenden entsprechend mehrsprachige Pflegebedürftige in Pflegeheimen in und um Bochum herum. In regelmäßigen Treffen tauschen sie sich in ihrer Muttersprache aus und nehmen am Alltag des Anderen teil. Parallel dazu findet eine wissenschaftliche Begleitung und Aufbereitung dieser Arbeit in universitären Veranstaltungen statt. Dort steht vorrangig die Erforschung der sprachlichen Situation im Pflegeheim im Mittelpunkt, je nach Interesse der teilnehmenden Studierenden variieren hier die thematischen Schwerpunkte.

Zur Geschichte des Projekts

Das Projekt wurde von Dr. Katrin B. Karl ins Leben gerufen und hatte zunächst eine Ausrichtung auf die Begleitung russisch- und polnischsprachiger Pflegebedürftiger durch entsprechend gleichsprachige Studierende. Über die Dauer von einem Jahr betreut jeweils eine Gruppe von mehrsprachigen Studierenden eine Gruppe mehrsprachiger Pflegebedürftiger in einer 1:1-Paarvermittlung. In dieser Form lief das Projekt sehr erfolgreich drei Jahre und wurde dabei kontinuierlich um weitere Sprachen und TeilnehmerInnen erweitert. Dabei ist es in vielen Fällen gelungen, die jeweiligen Pflegebedürftigen von einer studentischen Gruppe an die nächste zu übergeben, sodass viele Pflegebedürftige von uns über mehrere Jahre begleitet wurden.

Im Winter 2019/20 hatte sich eine neue Gruppe an TeilnehmerInnen gefunden: 12 Studierenden besuchten 11 Pflegebedürftige und unterhielten sich in ihrer jeweiligen Muttersprache. Dabei wurden die Sprachen Russisch, Polnisch, Spanisch und Chinesisch abgedeckt. Dann jedoch kam im Zuge der Corona-Pandemie das Besuchsverbot in den Pflegeeinrichtungen, wodurch auch unsere Besuche nicht mehr möglich waren. Da wir jedoch auch weiterhin Kontakt zu unseren begleiteten Personen und Einrichtungen halten und ausdehnen wollten, sind wir kreativ geworden und haben neue Wege gefunden.

In der Folge ist Ende März 2020 von uns die Aktion Briefe gegen die Einsamkeit ins Leben gerufen worden, die einen deutlich größeren Kreis an Menschen anspricht. Wir haben junge Menschen unter dem Motto Gemeinsam werden auch neue Wege begehbar! aufgerufen, mit uns ein Zeichen der Solidarität zu setzen und den Pflegeheimen – und im Besonderen den dort lebenden Personen – zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind! Durch Briefe und Postkarten, die von je einem jungen Menschen an einen Pflegebedürftigen geschrieben werden, wollten wir eine kleine Aufmunterung schenken.

Nach unserem Aufruf Ende März 2020 haben wir sowohl von Seiten junger Menschen als auch aus den Pflegeheimen eine unglaubliche Resonanz erfahren! Innerhalb von zwei Wochen konnten wir deutlich über 300 Personen zu 173 Briefpaaren vermitteln, die Zahl ist im Laufe der Monate auf über 400 vermittelte Personen gestiegen. Die meisten von ihnen schreiben sich auf Deutsch, aber es sind auch andere Sprachen vertreten: Russisch, Polnisch, Italienisch, Spanisch und Chinesisch. Viele tolle Briefe wurden seitdem in 17 Pflegeeinrichtungen im Ruhrgebiet verschickt und es kamen auch bald erste Antworten zurück. Zum Teil haben sich darüber wahre Brieffreunde gefunden, die in einem regen Austausch stehen, sich schreiben und auch telefonieren. Andere Grüße wurden zwar sehr freudig aufgenommen, blieben jedoch unbeantwortet. Einen Antwortbrief zu schreiben erfordert Zeit und Konzentration, was nicht immer gegeben ist. Dennoch bleiben die Grüße als ein Zeichen der Solidarität in dieser für alle ungewohnten und schweren Zeit. Dies hoffen wir, auch im Winter fortsetzen und an die positiven Erfahrungen anknüpfen zu können. Kurz vor Weihnachten startete ein erneuter Aufruf, Weihnachtsgrüße in die Einrichtungen und an die bereits vermittelten Briefpartner zu versenden. So finden hoffentlich auch in dieser ungewöhnlichen Weihnachtszeit einige Grüße und liebe Gedanken ihren Weg.

Parallel dazu hat sich in diesem Wintersemester (2020/21) eine neue Gruppe an engagierten Studierenden gefunden, die Interesse an einem vertieften Austausch mit Pflegebedürftigen hat. Den Kreis der Sprachen konnten wir dabei um Finnisch erweitern. Dabei ist es das Ziel, nach Möglichkeiten zu suchen, eine direkte Beziehung zu Pflegebedürftigen aufzubauen und sich regelmäßig auszutauschen. Wir hoffen, dass wir trotz aller Einschränkungen Wege finden, auch in diesem Winter in bewährter Weise Brücken zwischen Generationen und Institutionen schlagen zu können.